Der Schriftsetzer

MITTIG

Nicht sehr viele meiner Freunde und Bekannten wissen, daß ich gelernter Schriftsetzer bin. Darum möchte ich hier ein wenig den inzwischen längst ausgestorbenen Beruf erläutern und gewissermaßen davon erzählen wie ich dazu kam.

Nach der Mittleren Reife begann ich mich nach einer Arbeit für mich umzuschauen. So hatte ich mich bei diversen Lehrstellen beworben. Ich wurde bei den Flugtechnischen Werken (VFW) am Flughafen vorstellig. Dort machte ich einen sog. Intelligenztest, wurde jedoch nicht angenommen. Zu doof war ich nämlich nicht. Weiter dann als Rechtsanwaltsgehilfe an der Baumwollbörse. Auch die wollten mich nicht.
Mein Vater ließ alle kleineren Drucksachen von der Druckerei Firma Ludwig in der Kornstraße fertigen. Eines Tages nahm er mich mit dorthin. Mir stieg gleich der ölhaltige Geruch nach Druckfarbe in die Nase. Als ich dann aber in die kleine Setzerei schaute war ich Feuer und Flamme. Ich war sofort fasziniert von den Einzelbuchstaben aus Blei. Weil mein Vater alle größeren Geschäftsdrucksachen bei Hauschild machen ließ, brachte er mich eines Tages zu Dr. Fiedler, dem Geschäftsführer. Bei Hauschild hatte ich Gelegenheit bekommen, mir die Druckerei von Grund auf anzusehen. Meine Wahl fiel schließlich auf den Beruf des Schriftsetzers - eigentlich wollte ich von vornherein gar keine Druckmaschinen sehen. Einzig die Setzerei sagte mir zu. Ich schaute den dortigen Setzern bei der Arbeit zu und fand Gefallen daran, wie sie zu Werke gingen. Wieder zuhause, sagte ich dies zu meinen Eltern. Und am 27. September 1973 begann meine Lehre zum Schriftsetzer. Allerdings nicht bei Hauschild, sondern bei der Firma Werbedruck, damals ein Unternehmen bei der Hag-Gruppe. Die alte berühmte Firma Hauschild (gegr. 1845) ist nach dem Kriege von Kaffee Hag übernommen worden. Aha, das wusste ich nicht. Und die Firma Werbedruck (gegr. 1913) war die hauseigene Druckerei von Ludwig Roselius.

Die Lehrzeit betrug wie damals in fast allen Berufen üblich, drei Jahre. In diesen drei Jahren lernte ich den Beruf des Schriftsetzers von der Pike auf. Anfangs tat ich mich schwer mit dem Punktsystem (das ist die Größenbezeichnung), aber spätestens nach der Zwischenprüfung ging es bergauf. Mein Lehrherr Heinz Debrassine versuchte, mir all sein Wissen beizubringen. Zusehends gefiel es mir, Geschäftsdrucksachen aller Art anzufertigen. Mit Beginn des dritten Lehrjahres konnte ich auch schon mal meine eigenen Entwürfe an den Mann bringen. Meist jedoch wurde gerade bei den Visitenkarten nach einem Layout gearbeitet, welches die Sachbearbeiter – Herr Reinhard Senger und Herr Alfred Martens z.B. – mir vorgaben. So war ich eines Tages der Spezialist für die Visitenkarten von Krupp Atlas Elektronik. Eigens dafür wurden noch ein paar Schriften eingekauft. Als einer der ersten Setzer durfte ich mit ihnen arbeiten. Herrlich, diese neuen Buchstaben zu fühlen, sie in den Winkelhaken zu setzen und die Zeilen auszuschließen. Für Krupp kam die Schrift Permanent zum Einsatz, eine breite Grotesk, ähnlich wie die Akzidenz-Grotesk, nur nicht so grob, sie war in sich kompakter. Neben Krupp bekam ich noch die Aufgabe, die Visitenkarten für die Goldene Tasse zu bearbeiten. So bezeichnete Kaffee Hag die Außendienstabteilung. Die anderen Visitenkarten wurden mit der Largo, bzw. der Kupferplatte erledigt. Ganz selten einmal wurden sie in der schlichten Helvetica oder einer anderen Schrift gefertigt.

Meine Lieblingsschrift allerdings war die Garamond, vorzugsweise in Mittel (14 Punkt). Sie ist mir ans Herz gewachsen, als ich die vielen Einladungskarten für die Kunsthalle Bremen gesetzt hatte. Der Grundtext wurde in 10 Punkt Maschinensatz gefertigt und der Betreff der Einladung aus 14 Punkt Garamond. Daneben gefielen mir auch die sog. Gebrochenen Schriften, die Fraktur. Allen voran die Manuskript Gotisch, die leider im Zuge der Verkleinerung der Setzerei – Hauschild hatte eine große Setzerei und Werbeduck war auch nicht gerade klein – in den Schrott gekippt wurde. So musste ich auf die Caslon Gotisch und die Schwabacher ausweichen. Überhaupt fand ich großen Gefallen daran, die alten Bezeichnungen zu verwenden. Hier die gängigsten Bezeichnungen. Dahinter sind weitere Verwendungen in dieser Dickte aufgeführt:

1 Punkt – Achtelpetit. Linien, Spatien, Regletten
2 Punkt – Viertelpetit. Linien, Spatien, Regletten
3 Punkt – Linien, Spatien, Regletten
4 Punkt – Diamant (Schriftgröße), Halbpetit. Linien, Spatien, Halbgevierte, Regletten
5 Punkt – Perl (Schriftgröße, meist auf 6 Punkt Kegel), 10 Punkt-Halbgevierte
6 Punkt – Nonpareille (Schriftgröße). Gevierte, Regletten, Linien, Viertelkreise
7 Punkt – Colonel (Schriftgröße)
8 Punkt – genau 3 Millimeter, Petit (Schriftgröße). Gevierte, Regletten, Linien
9 Punkt – Borgis (Schriftgröße). Gevierte
10 Punkt – Korpus (Schriftgröße, Brotschrift). Gevierte
11 Punkt – keine Verwendung
12 Punkt – Cicero (Maßeinheit, Schriftgröße, Brotschrift). Gevierte, Linien, Regletten, Viertelkreise
13 Punkt – keine Verwendung
14 Punkt – Mittel (Schriftgröße). Gevierte
16 Punkt – Tertia (Schriftgröße). Gevierte, Regletten
20 Punkt – Text (Schriftgröße). Regletten
24 Punkt – zwei Cicero (Schriftgröße). Verwendung als Stege, Linien, Unterlagstege (Klischees)
28 Punkt – Doppelmittel (Schriftgröße)

Daneben hatte ich noch Halbpunkt-Spatien aus Messing, allerdings nur in den Schriftgraden Nonpareille, Petit, Korpus und Cicero. Ganz froh war ich, als ich beim Aufräumen Viertelpunkt-Spatien (leider nur in Nonpareille) fand. Normalerweise wurden Halbpunktspatien nur beim Ein- oder Ausbringen von Versalien benutzt; und da auch nur in der angegebenen Schriftgröße. Bei größeren Schriftgraden verwendete man Kartonstreifen aus Postkartenkarton, etwa 200 Gramm-Papier.

Die kleineren Schriftgrade bis maximal 20 Punkt wurden liegend in den Schriftkästen einsortiert. Alle Schriftgrade darüber befanden sich in Steckkästen. In den Steckkästen waren die Buchstaben der Reihe nach einsortiert. Die großen breiten Schriftkästen, wie man sie heute leer auf Flohmärkten bekommen kann, haben nämlich eine ganz eigene Sortierung, die einem Laien nicht gleich auffallen. Die Gemeinen (Kleinbuchstaben) waren nach der Häufigkeit ihrer Benutzung einsortiert. Wenn der Setzer vor dem Schriftkasten stand, befand sich das kleine e genau unter seiner rechten Hand. Alle Kleinbuchstaben waren ringsherum so angeordnet, daß man schnell und flüssig setzen konnte. Das war auch wichtig, als noch große Mengen von Hand gesetzt wurden. So ist es auch in der Zwischenprüfung und später auch in der Gesellenprüfung so, daß man möglichst viele Zeilen in einer 10 Punktschrift (Korpus) fehlerfrei setzt. Das war Vorgabe für die Prüfungen. Als Maßgabe galt es, mindestens 20 Zeilen zu setzen. Beim Ablegen – also beim Zurücklegen der Buchstaben in den Setzkasten – war es daher enorm wichtig, die einzelnen Lettern genau dort abzulegen, wo sie auch hingehörten. Spätestens beim Mengensatz regte man sich furchtbar auf, wenn die Fächer verfischt (Fische = falsche Buchstaben) waren. Ich konnte das überhaupt nicht vertragen und machte mir manches Mal laut fluchend Luft. Meinem Ausbilder gefiel das. Jeder Schriftsetzer hasste es. Daneben gab es noch die Zwiebelfische. Das waren ebenfalls falsche Buchstaben, aber aus einer anderen Schrift. Jeder Buchstabe hatte eine Signatur an der Vorderseite. Kleine Rillen, manchmal auch zwei oder drei, sodaß man bein Setzen genau sah, ob alles richtig ist. So war häufig die Helvetica mit der Akzidenz-Grotesk oder zusätzlich noch mit der Neuzeit Grotesk vermischt. Nur ein geübtes Auge konnte die Buchstaben unterscheiden. Um Geschwindigkeit beim Setzen zu erzielen, musste das Auge immer schon den nächsten oder übernächsten Buchstaben ausfindig machen, während die Finger noch den Buchstaben in den Winkelhaken setzten. Der Setzgeschwindigkeit abträglich war nämlich das Umdrehen der Schrifttypen und natürlich die falschen.

Zum Ende des dritten Lehrjahres bekam ich zusehends Aufträge wie Maschinensatzumbrüche, z.B. wenn gerade wieder ein Buch gedruckt werden sollte. Kleine Auflagen von Drucksachen wurden traditionell im Buchdruckverfahren gedruckt – zumeist im Drucktiegel. Bücher für den Hauschild-Verlag wurden im Offsetdruckverfahren hergestellt. Dazu wurde der reine Text von Maschinensetzern erfasst und spaltenweise auf DIN A 3-Papier gedruckt und dem Autor vorgelegt werden. Nach der Korrektur erfolgte die Imprimatur, d.h. damit gibt der Autor mit seiner Unterschrift das Werk zum Druck frei. Die Satzspalten wurden dann zu einem Druckbogen zusammengestellt und auf Barytpapier (lichtempfindliches Fotopapier) mit einer Abziehpresse meist zu acht Seiten in eine Form geschlossen. Denn je größer eine Form wurde umso schwerer wurde sie auch. Die Drucker hatten es leicht, für sie gab es den Formenwagen. Das war ein höhenverstellbarer Tisch aus Metall und Rollen zum Transport der Formen. Damit konnten sie fast mühelos die Form in die Druckerpresse schieben. Die Setzer hingegen mussten ihre Werke dagegen selbst auf großen Schiffen tragen. Die größten Schiffe – so nannte man diese tablettartigen Werkzeuge – waren im DIN A1-Format angesiedelt. Standard war hier das DIN A4-Schiff oder auch das DIN A3-Schiff. Für kleinere Aufträge hatte nur ich ein DIN A5-Schiff. Speziell für Mengensatz gab es noch die Spaltenschiffe, die die Länge der DIN A3-Schiffe hatten, allerdings nur etwa 28 Cicero Breite. Aber: Je größer die Schiffe - umso schwerer wurden sie dann auch. Alles Material - mit Ausnahme der Linien aus Messing und der Unterlagstege aus Aluminium - war alles aus Blei.

Plakate z.B. wurden teilweise aus riesigen Holzlettern erstellt. Holz war leicht, das war der eigentliche Grund. Ein volles Plakatschiff wurde aber oft von zwei Setzern getragen. Nicht selten wogen diese über 50 Kilogramm, und sie mussten waagerecht getragen werden! Plakate wurden bei uns damals oft für die Orgelkonzerte im St. Petri Dom Bremen gedruckt. Sehr oft durfte ich die Texte in Einzellettern zusammenstellen.

Die Titelei für Bücher, die Visitenkarten, die Schriften für Einladungen wurden nach wie vor in den Winkelhaken gesetzt – daher der Name Schriftsetzer – und ausgeschlossen. In diesem speziellen Falle handelt es sich dabei um ein auf eine vorgegebene Breite zu setzende Handsatzzeile.
Visitenkarten hatten beispielsweise eine Gesamtbreite von 16 bis 18 Cicero, je nach Papiergröße. Meist wurden der Name und die Berufsbezeichnung auf Mitte gesetzt. Die Firmenadresse wurde links und die Privatanschrift rechts ausgeschlossen. Einladungen hatten meist 20 bis 26 Cicero Satzbreite bei einem offenen Format von 14,8 x 10,5 cm.

Meine nächste Aufgabe bestand darin, zusammen mit meinem Ausbilder Heinz Debrassine ein Schriftmusterbuch zu erstellen. Schriftmuster benötigt man um Schriftschnitte zu vergleichen oder um die verschiedenen Schriften einem Kunden vorzustellen.
Hierbei ließ mir der Meister großen Spielraum für den Beispieltext. Dieser hier: Des Daseins eigentlichen Anfang machte die Schrift (ist mir in lebendiger Erinnerung geblieben).

Ist es nicht seltsam? Die Schriften, die wir früher in der Setzerei hatten, gefallen mir auch heute noch, sodaß ich mir fast alle inzwischen wieder runtergeladen habe und auch noch einsetze.

Hier sind sie:
Akzidenz Grotesk, Arkona, Ariston, Baskerville, Bodoni, Candida, Caslon Gotisch, Charme, Delphin, Futura, Garamond, Headline Versal, Helvetica, Impressum, Künstler Schreibschrift, Kupferplatte, Legende, Lichte Largo, Lichte Memphis, Lithurgisch, Manuskript Gotisch, Mona Lisa, Neuland, Neuzeit Grotesk, Memphis, Optima, Permanent, Rhapsodie, Saskia, Signal, Slogan, Visite, Weiß Antiqua.

Damit man die Schriften untereinander auseinanderhalten konnte wurden sie nach DIN klassifiziert: DIN 16518. Ich könnte die obigen Schriften jetzt damit ergänzen, die Übersichtlichkeit ginge dann aber verloren, also lasse ich das besser.